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September 29, 2022

July 19, 2023

Wo nichts gemessen wird, kann auch nichts verbessert werden - Das fundamentale Problem von Smart Cities

„Vielfältig und offen.” „Klimaneutral und ressourceneffizient.” „Aufgeschlossen und innovativ.” „Sicher und raumgebend.” Unter anderem so definiert die Smart City Charta der letzten Bundesregierung die intelligente Stadt der Zukunft. Was für viele nach einer utopischen Vision klingt, soll bald Realität werden. Doch aktuell haben Smart City-Leuchtturmprojekte ein fundamentales Problem: Viele Kommunen haben keinen Überblick darüber, ob ihre Maßnahmen einen Mehrwert für die Umwelt, Bürger:innen oder die Verwaltung stiften.

Die Modellprojekte Smart Cities

Seit 2019 stellt der Bund im Rahmen der Modellprojekte Smart Cities (MPSC) 820 Millionen Euro an Fördermitteln bereit, um „die Chancen von Informations- und Vernetzungstechnologien im Sinne einer nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung” zu nutzen. Ziel ist es, Erfahrungen in Kommunen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen zu sammeln, diese später zu teilen und zu skalieren. Gefördert werden sowohl Kommunen mit circa 1.000 Einwohnenden als auch Großstädte wie München, Hamburg oder Berlin.

Während sich der Großteil der aktuell 73 Modellkommunen noch in der Strategiephase befindet, sind 13 schon in der Umsetzungsphase. Innovative Ansätze in diversen Fachbereichen sind bereits erkennbar: So installiert die Stadt Solingen aktuell Wettersensoren, um schneller auf Verschlechterungen von Straßenkonditionen bei Wetterumschwüngen reagieren zu können. Die mecklenburgische Kleinstadt Grevesmühlen hingegen hat einen digitalen Pflegedienst entwickelt, in dem Bürger:innen anonym und zentral ihre Anforderungen eingeben können, die dann an die beteiligten regionalen Pflegedienste weitergeleitet werden.

Warum die Modellkommunen aktuell im Dunkeln operieren

Einer der Grundlagen des Projektmanagements ist es, messbare Ziele (z.B. in Form von Key Performance Indicators, s. unten) zu definieren und diese später anhand von gesammelten Daten zu validieren. Genau hier liegt aber das Problem der MPSC: Aktuell fehlt vielerorts ein Überblick darüber, ob die getroffenen Maßnahmen einen spürbaren Mehrwert für die Umwelt, Bürger:innen und die Verwaltung darstellen.

Zu diesem Ergebnis kam auch eine Wirkungsanalyse des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Zwar sehen Projektverantwortliche das Monitoring von Smart City-Maßnahmen als relevant an. Die Evaluation der Maßnahmen ist laut dem BBSR aber „mit erheblichen Herausforderungen” verbunden und bedarf einer „tiefergehenden Auseinandersetzung”. Besonders die räumlichen Auswirkungen werden derzeit „kaum berücksichtigt oder thematisiert”. Ein hartes Urteil - doch für wen?

Den Kommunen kann hier wenig vorgeworfen werden. Man nehme auch hier das Beispiel die MPSC: Hier beschreibt das Merkblatt der Bundesregierung - der Nordstern für die Modellkommunen - das Monitoring durch Kommunen lediglich als „sinnvoll” und überträgt die Aufgabe fast vollständig an die Begleitforschung. Diese wird wiederum von der Koordinierungs- und Transferstelle (KTS) Modellprojekte Smart Cities übernommen. Die KTS, ein Konsortium diverser Unternehmen, wurde jedoch erst zwei Jahre nach dem Start der ersten Förderstaffel eingerichtet, soll nun aber zum Kompetenzzentrum ausgebaut werden. 

Aber nicht nur kommt die Einrichtung einer zentralen Monitoringstelle zu spät. Auch ist der aktuelle Ansatz der MPSC wenig zielführend. Auf der einen Seite sammeln die Kommunen durch das „Outsourcing” des Monitorings selbst keine eigenen Erfahrungswerte. Auf der anderen Seite ist ein zentralisiertes Monitoring nicht skalierbar. Die KTS muss sich bereits jetzt einer Herkulesaufgabe stellen: Geht man davon aus, dass jede der Modellkommunen 20 Smart City-Vorhaben umsetzt, müsste die KTS mehr als 1.500 Maßnahmen monitoren - und dabei sprechen wir nur von 78 der über 11.000 deutschen Kommunen. 

Es führt also kein wenig daran vorbei, dass die Kommunen das Monitoring selbst übernehmen.

Learnings aus dem EU-Ausland: Wie die Stadt Nantes mehr als 33 Millionen Smart City-Datenpunkte teilte

Wie Kommunen hier handlungsfähig werden können, wurde mir jüngst von einem Vertreter aus Nantes auf einer Konferenz gezeigt. Die Stadt im Westen Frankreichs wurde über die letzten sechs Jahre vom europäischen Förderprogramm mySMARTLife unterstützt. Nach Aussagen des Vertreters hat man sich bereits seit Beginn des Programms intensiv darüber Gedanken gemacht, welche KPIs für die einzelnen Maßnahmen definiert werden und wie entsprechende Daten gesammelt und evaluiert werden können. 

Das Ergebnis? Nantes konnte bereits frühzeitig die nötige Daten-Governance-Struktur aufsetzen, um die Maßnahmen jetzt systematisch zu evaluieren und die Daten mit dem breiteren Ökosystem zu teilen. So wurden bisher mehr als 33 Millionen Datenpunkte auf der städtischen Open Data-Plattform via Schnittstellen zugänglich gemacht. 

Das transparente und leicht zugängliche Teilen von Daten sollte zwar der Anspruch einer jeden (smarten) Kommune sein. Dass aber auch das kein gangbarer Weg für die meisten Kommunen ist, zeigt auch der Fortschrittsbericht der Bundesregierung, der 2019 im Rahmen des Open Data-Gesetzes erarbeitet wurde: In weniger als jeder fünften deutschen Behörde kommen Mitarbeitende auf dedizierte Open Data-Verantwortliche zu, um Daten zu teilen. Oft fehlt das nötige Wissen oder die Ressourcen.

All das zeigt, dass viele Kommunen die Wirksamkeit ihrer Smart City-Maßnahmen nicht messen können - und wo nichts gemessen wird, kann auch nichts verbessert werden. 

Die Rolle von GovTech für Smart City-Projekte

Doch Kommunen müssen für die Evaluation getroffener Maßnahmen nicht in Eigenleistung gehen. Viele innovative GovTech-Unternehmen bieten passende Lösungen, um genau dabei zu unterstützen. 

So bietet das Hamburger Startup Breeze Technologies hochlokale Klima- und Luftqualitätsdaten, die von Sensoren erhoben werden und mithilfe derer sich Handlungsempfehlungen generieren lassen. So könnte zum Beispiel gemessen werden, wie sich die Luftqualität mit der Einführung verkehrsberuhigter Zonen oder nach dem Ausbau von Fahrradwegen verändert. 

Abhilfe schafft auch die Lösung von LiveEO. Das Unternehmen generiert konkrete, nutzbare Insights aus Satellitendaten und kann Daten, die für die Steuerung von nachhaltigen Städten essentiell sind, miteinander kombinieren und mit Künstlicher Intelligenz automatisiert Risiken und Potentiale herausstellen. Bei den Daten, die den Insights zugrunde liegen, kann es sich etwa um Vegetationsart und -zustand, Gebäudearten, Wasserflächen, Oberflächentemperaturen, Bodendeformationen, Zustand von Infrastrukturen und viele weitere handeln. So werden auf Satellitendaten basierende Analysen zum zentralen Baustein zur Mitigation der Klimakrise.

Eine weitere wichtige Funktion von (smarten) Kommunen ist die Bereitstellung einer funktionierenden Verkehrsinfrastruktur. Hierbei kann die Lösung des Pariser Startups Vianova helfen, die bereits in mehreren deutschen Kommunen eingesetzt wurde. Mithilfe der Plattform des Unternehmens konnten diese aufbereitete Daten von Mikromobilitätsanbietern, beispielsweise zur Nutzung von E-Scootern, beziehen, um darauf basierend stadtplanerische Entscheidungen zu treffen. 

Wem die einzelnen Lösungen zu viel sind, kann auf Datenintegrations-Angeboten wie jenem vom Berliner GovTech-Pionier Polyteia zurückgreifen. Das Startup hat eine Plattform entwickelt, die Behörden dabei unterstützt, Daten automatisiert aus unterschiedlichen Quellen zusammenzuführen, zu transformieren und leicht zugänglich aufzubereiten.

Was Kommunen bereits jetzt tun können

Die Beispiele zeigen: Ob Startup oder größeres Tech-Unternehmen - externe Dienstleister können Kommunen dabei unterstützen, ihre Smart City-Strategien zu monitoren und bei Bedarf zielgerichtet zu reagieren. Vor allem Kommunen, die nicht die nötigen Ressourcen haben, um ihre Daten selbst zu sammeln, evaluieren und teilen, würden von GovTech-Lösungen profitieren. 

Doch um den Mehrwert dieser Lösungen zu maximieren, sollten Kommunen bereits jetzt in drei essentiellen Handlungsbereichen tätig werden: 

  1. Strategien analysieren und harmonisieren. Kommunen haben oft diverse Strategien, deren Ziele sich sowohl ergänzen als auch widersprechen können. In einem ersten Schritt muss daher festgestellt werden, welche relevanten Dokumente (z.B. Smart City- und Nachhaltigkeitsstrategien) existieren und welche Ziele darin gesteckt werden.
  2. KPIs definieren. In einem zweiten Schritt sollten Kommunen klar definieren, welche Ziele die einzelnen Maßnahmen erreichen sollen und wie diese gemessen werden. Je nach Zielsetzung kann sich die Messung des Erfolgs stark unterscheiden. Soll die kommunalen Busflotte aus ökologischen Gründen elektrifiziert werden, wäre zum Beispiel die flottenweite Verringerung der CO2-Emissionen um 15% ein mögliches Ziel. Geht es hingegen um die Reduzierung von Lärm, sollte hingegen die Tagesspitze der Lautstärke in Dezibel gemessen werden. Unabhängig vom individuellen Ziel sollten KPIs stets mit der sogenannten SMART-Methodik definiert werden. Diese kommt aus dem Englischen und bezeichnet Ziele, die specific, measurable, achievable, reasonable und time-bound - also spezifisch, messbar, erreichbar, realistisch und temporär - sind. 
  3. Datenquellen ermitteln. Sind die Zielvorstellungen bestimmt und die entsprechenden KPIs definiert, geht es nun darum, die notwendigen Datenquellen zu bestimmen. Dabei müssen unter anderem folgende Fragen beantwortet werden: Welche Daten müssen gesammelt werden und kommen diese her? Wie werden die Daten in ein einheitliches Format gebracht? Wie werden die Daten öffentlich zugänglich gemacht? 

Falls Sie Ihre Erfahrungen zum Monitoring von Smart City-Strategien teilen möchten oder mehr darüber erfahren möchten, wie Sie die oben genannten Schritte effizient umsetzen bzw. geeignete GovTech-Lösungen beschaffen können, melden Sie sich gerne  unter kontakt@public.io.

Autor: Max Richter, PUBLIC Deutschland

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Ann-Kathrin Kornemann

Senior Associate

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