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June 13, 2023

July 19, 2023

Venture Client Units - ein erfolgversprechendes Modell für den öffentlichen Sektor?

Wenn große Organisationen mit Startups zusammenarbeiten wollen, tun sich oft Schwierigkeiten auf. Eine Hürde besteht darin, dass herkömmliche Beschaffungsansätze für Startups oft unzugänglich sind. Venture Client Units (VCUs) können ein Lösungsansatz sein, um eine effiziente Zusammenarbeit zwischen Startups und dem öffentlichen Sektor zu ermöglichen und innovative Lösungen für komplexe Herausforderungen zu entwickeln. Wie dies gelingen kann und was die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung einer VCU in einer öffentlichen Organisation sind, war auch Thema auf dem GovTech-Gipfel von PUBLIC und dem Handelsblatt. Unsere Kollegin Ann-Kathrin moderierte die Diskussionsrunde mit Gordon Beese, Innovation Manager bei BITMARCK, Paulo Kalkhake, Projektleiter GovTecHH der Senatskanzlei der Freien und Hansestadt Hamburg und Ronja Stoffregen, Head of Global Startup Management bei DB Schenker zum Thema ‘Venture Clienting im öffentlichen Sektor’. Hier teilt Ann-Kathrin ihre Erkenntnisse.

Erstmal zu den Basics: Was sind Venture Client Units überhaupt? 

AK: Das Konzept einer Venture Client Unit kommt aus dem privatwirtschaftlichen Sektor. Es handelt sich um eine neue Art der Zusammenarbeit zwischen Konzernen und Startups. Die Venture Client Unit ist ein neues Modell des Innovationsmanagements, das dazu dient, eng und frühphasig mit Startups zusammenzuarbeiten. Die VCU besteht aus einem Team, das sich speziell um diese Zusammenarbeit kümmert und den Prozess der Kollaboration mit Startups in produktive Bahnen lenkt.

Und was macht VCUs gerade für den öffentlichen Sektor interessant?

AK: Die Herausforderung im öffentlichen Sektor bei der Implementation von Innovationen liegt in der Vergabe und der Beschaffung. Der Staat darf nicht einfach ein spezifisches Unternehmen für eine Zusammenarbeit beauftragen und alle anderen ignorieren – das wäre unfair. Auf der anderen Seite haben insbesondere Startups und KMU oftmals Schwierigkeiten, die  Ressourcen für typische Ausschreibungen im öffentlichen Sektor aufzubringen und die Anforderungen darin zu erfüllen. VCUs bieten hier eine gute Lösung: In einem strukturierten Prozess, den die Verwaltung intern aufsetzt, macht man sich zunächst über die Herausforderungen innerhalb der Organisation Gedanken, für die eine Lösung gesucht werden soll. Anschließend identifiziert das Team der VCU am Markt passende Startups, die dann gemeinsam mit der Organisation passgenaue Lösungen entwickeln. Ziel ist es, diese im nächsten Schritt auch tatsächlich schnell in der eigenen Organisation zu etablieren. Es ist ein reziproker Mechanismus: Der Staat bekommt innovative Produkte von den Startups und die Startups lernen wiederum vom öffentlichen Sektor. Sie erfahren beispielsweise frühzeitig von technologischen oder datenschutzrechtlichen Herausforderungen, können diese in der Produktentwicklung berücksichtigen und passgenaue Lösungen an den öffentlichen Sektor verkaufen. 

Wie unterscheiden sich VCUs von herkömmlichen Modellen der Zusammenarbeit zwischen Staat und Startups und was sind die Vorteile des Ansatzes?

AK: Erstens ermöglichen es VCUs, offener und innovationsfreudiger nach Startups, Ideen und Innovationen zu suchen. Auftraggebende lernen Lösungen kennen, auf die sie über klassische Ausschreibungsprozesse gar nicht gestoßen wären. An zweiter Stelle ist der gegenseitige Austausch von Know-How zu nennen. Das fördert die Innovationskultur auf Seiten des öffentlichen Sektors und Startups können viel über Vergabe- und Beschaffungsmechanismen lernen. Damit kommen wir direkt zum dritten Punkt: gegenseitiges Kennenlernen. Denn wenn es zum Ende eines VCU-Prozess konkret um die Vergabe geht, stehen sich nicht mehr zwei unbekannte Parteien gegenüber. Durch die Zusammenarbeit kann die Verwaltung das Startup besser einschätzen: Wie sicher ist die Finanzierung und wie sieht der Runway aus? Ein vierter Aspekt betrifft die Vorteile eines strukturierten Prozesses. Oft scheitert die Zusammenarbeit mit Startups daran, dass keine konkreten, messbaren Ziele vereinbart werden. VCUs bieten eine Lösung, indem sie mittels KPIs (Key Performance Indicators) fixe Zielvorgaben definieren, anhand derer regelmäßig überprüft wird, ob das Projekt sich in die richtige Richtung entwickelt. In einer VCU findet in diesem Sinne ein geregelter Prozess statt, in dem es um die Optimierung von Einkauf und Beschaffung geht. Dadurch ist die Beschaffung über eine VCU enger und besser zu monitoren als viele andere Wege, was den Prozess beschleunigt.

Wann bzw. für wen eignen sich VCUs und wann nicht? 

AK: VCUs eignen sich, wenn man offen und innovationsfreudig neue Technologien kennenlernen und diese in der eigenen Organisation relativ zügig implementieren will. Voraussetzungen sind die Offenheit für agile Arbeitsweisen, die Existenz von Fürsprechern in der eigenen Organisation oder Abteilung und die Verfügbarkeit ausreichender Ressourcen. Unter diesen Bedingungen haben sich VCUs als erfolgreich erprobtes Modell für einen zügigen, kollaborativen, zielgerichteten und steuerbaren Innovationsprozess erwiesen.

VCUs eignen sich nicht, wenn eine Organisation gar keine Risiken eingehen will und ausschließlich etablierten Marktteilnehmern Vertrauen schenkt oder die Organisation die Beschaffung bereits identifizierter Lösungen zum Ziel hat und somit kein Interesse an innovativen Lösungen besteht. VCUs eignen sich zudem eher für größere Organisationen, da eine VCU im besten Fall von einem eigenen Team längerfristig betrieben und verstetigt wird.

Zum Thema Risiken: Häufig gilt ja der öffentliche Sektor als besonders risikoavers. Eignet sich der VCU-Ansatz trotzdem? Wie passt das zusammen?

AK: Ja, es gibt Risiken – der VCU-Ansatz ermöglicht es aber, diese handhabbar zu machen. Es kann sein, dass man am Ende des VCU-Prozesses keine geeignete, passgenaue Lösung für seine Herausforderung findet, oder dass sich im Prozess herausstellt, dass die Zusammenarbeit mit dem Startup doch nicht der richtige Weg ist. Es gilt, bereits im Aufbau einer VCU offen und klar die Chancen und Risiken für die eigene Organisation zu kommunizieren sowie gelungene VCU Prozesse nach außen zu tragen und Mitarbeitende in den Prozess zu integrieren. Der öffentliche Sektor ist gar nicht so risikoavers, wie oft unterstellt wird. Es gibt bereits Vorreiter, es gibt Abteilungen und Leute, die sagen: ‘Hey, das klappt, das probieren wir aus!’. Dieser Spirit war auf dem GovTech-Gipfel ganz besonders zu spüren. Der öffentliche Sektor öffnet sich immer stärker für Innovationen und bewegt sich stetig weiter weg vom völlig risikoaversen Denken. Deshalb ja, das passt zusammen. Ein Paradebeispiel ist GovTechHH, die VCU der Hansestadt Hamburg. Aber auch BITMARCK, der IT-Service Provider für die gesetzlichen Krankenversicherungen, stellt aktuell die Weichen für eine interne VCU, nachdem das virtuelle Accelerator-Programm “GKV im:pulse erfolgreich den Weg dafür ebnete. Das Programm hatte zum Ziel, die besten Technologielösungen für drei vorab definierte Herausforderungen zu identifizieren, zu fördern und zu prämieren, und so die digitale Transformation in den gesetzlichen Krankenkassen zu beschleunigen.

Konkret auf die Implementierung des Modells bezogen: Welche Best Practices und Learnings sind dir aus dem Panel im Kopf geblieben?

AK: VCUs bieten viele Chancen für den öffentlichen Sektor. Ein Learning ist, dass sich die VCU innerhalb der Organisation selbst als Dienstleister präsentieren muss, um erfolgreich zu sein. Das Motto muss sein: ‘Wir wollen euch helfen, besser zu werden, schneller Probleme lösen zu können’. Ein weiteres Learning ist, dass es sehr sinnvoll ist, dass die VCU schon während des Scouting-Prozesses, also während der Suche nach Startups, eine Datenbank aufbaut: Mit welchen Startups waren wir in Kontakt, in welchen Bereichen sind diese aktiv? Daraus ergibt sich ein wahrer Datenschatz, auf den bei anderen Herausforderungen oder in anderen Vergabeverfahren zurückgegriffen werden kann. Denn vielleicht wird ein Startup zu einem späteren Zeitpunkt oder in einem anderen Kontext doch noch interessant.

Abseits des Panels kann man noch anmerken, wie wichtig interne Champions in der VCU sind. Eine VCU steht niemals für sich allein, sie arbeitet immer ‘im Auftrag’ anderer Abteilungen und hat somit auch eine koordinierende Aufgabe. Interne Champions sind Personen, die innerhalb der Organisation einen guten Draht zu anderen Fachabteilungen, wie der Rechts- oder Vergabeabteilung aber auch in den Vorstand und in die Leitungsebene haben. Sie erleichtern den internen Austausch, denn genau darum geht es: reale Herausforderungen werden intern an die VCU herangetragen und diese löst die Herausforderungen durch schnelle und innovative Zusammenarbeit mit Startups. 

Ein Blick in die Zukunft: Was braucht es, damit gerade der öffentliche Sektor die Potenziale in Zukunft besser nutzen kann?

AK: Ein anderes Mindset nach dem Prinzip ‘Trial and Error’, eine gewisse Risikobereitschaft, ausreichende Ressourcen und eine innovativere Ausschöpfung bestehender Vergabemöglichkeiten. Letzteres kann gelingen, indem die Vergabestelle direkt miteinbezogen wird, auch auf Seiten der Mitarbeitenden im öffentlichen Sektor: Mehr Schulungen durchführen, mehr Lust darauf machen, sich mit innovativen Lösungsmöglichkeiten und innovativen Vergabepraktiken auseinanderzusetzen. So dass allen klar wird: „Ja, wir haben hier ein Korsett aus Vergaberecht, aber es gibt viel mehr Möglichkeiten, die werden aktuell nur noch nicht ausgeschöpft”. Denn VCUs können eine sehr gute Option sein, um diesem Korsett des Vergaberechts zu entkommen und Innovation im öffentlichen Sektor voranzutreiben.

Autor:innen: Jana Meßmer, Ann-Kathrin Kornemann, Lavinia Wolf, PUBLIC Deutschland

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Ann-Kathrin Kornemann

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